Lebensform der Iraner in Hamburg
Zunächst wird ein allgemeines Bild von dem Leben der iranischen Migranten mit ihren Problemen geschildert. Es darf nicht vergessen werden, dass, wollte man alle diese Probleme nebeneinanderstellen, es keine positiven Punkte, kein harmonisches oder erfolgreiches Leben der Iraner in Hamburg zu geben scheint.
Selbstverständlich hat die Auswanderung viele positive Aspekte gehabt. Der große positive Punkt ist meiner Meinung nach das Kennenlernen und der Umgang mit Demokratie. Dieser Umgang hat auf die Persönlichkeit von Iranern einen positiven Einfluss. Sie haben eine Toleranz gelernt und benutzen sie im eigenen persönlichen Verhalten und auch in der Familie. Auch in Bezug auf die Gesellschaft hat sich ihre Meinung hin zu mehr Toleranz geändert. Man sieht hier die Wahlen und wie man hier über die Lösung von Problemen diskutiert.
Es gibt Personen und auch Familien, die wegen der Emigration aus dem Iran und der Entwicklung ihrer Fähigkeiten und Persönlichkeit nicht nur unter soziokulturellen und wirtschaftlichen Aspekten erfolgreich sind; auch im geistigen und moralischen Sinne sind diese Personen und Familien in einer unbeschränkten, freien Gesellschaft, in der vor allem keinerlei persönliche Aufsicht und öffentliche Kontrolle über das Privatleben ausgeübt wird. Obwohl die Zahl solcher Fälle im Vergleich zu problematischen gering ist, sollen sie hier nicht unerwähnt bleiben, um nicht gänzlich eine pessimistische Einstellung gegenüber den iranischen Flüchtlingen zu vermitteln.
Man kann die Probleme der Iraner hier nicht mit denen von Iranern im Iran vergleichen. Hier gibt es Freiheit und Demokratie. Wir dürfen auch nicht die gegenwärtigen wirtschaftlichen Probleme im Iran vergessen.
3.1 Die Krise im Lebensablauf der iranischen Migranten (Flüchtlinge) und ihre Auswirkungen auf die Familienstruktur
Wie in Kapitel 1.1 bereits erwähnt, bezeichnen einige iranische Schriftsteller und Experten, allen voran aber Journalisten, die Änderungen im Leben iranischer Migranten als "Krise". Um diese "krisenhaften" Veränderungen zu verstehen, werden im Folgenden einige typische Artikel zusammengefasst und analysiert. Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang die Meinung einiger Fachleute, wonach psychische Krankheiten bei Kinder aber auch Erwachsenen ihre Ursache in der Migration haben (siehe auch Kapitel 3.1.3).
Der wichtigste Grund für die starken und schnellen Veränderungen in der Familienstruktur (zunehmende Scheidungshäufigkeit) unter iranischen Emigrantenfamilien ist die "Emigrationskrise". Sie übt einen starken Druck auf die Familie aus, der unterschiedlich stark auf Mann und Frau wirkt. Dadurch ist das Gleichgewicht im Leben eines solchen Emigranten gestört worden, eine äußere Erscheinung als Folge einer Krise. Iranische Emigranten (Flüchtlinge) reisen aus einem mehr der Tradition verhafteten Land in ein westliches Industrieland und werden so von grundlegenden Veränderungen betroffen. Einige dieser Familien entstammen einem nicht intakten Familienhintergrund. Das bedeutet, dass im Iran die Familie durch den Tod eines Familienmitglieds, durch Scheidung, Krieg oder ähnliche Faktoren ihre Einheit verloren hat. Diese Familien kommen unvollständig hierher und können umso leichter gestört werden, sind also sensibler in Bezug auf Veränderungen als intakte Familien.
Der Lebensstil und die neue Kultur sind einem neuen Migranten völlig fremd, und das eigene Wertesystem und die eigenen Normen haben im Gastland keine Gültigkeit mehr. Die Folge ist ein starker Kulturschock. Die Entwicklungen, die sich in den Industrieländern hundert Jahre lang allmählich ergeben haben, treffen die Migranten in wenigen Stunden, vor allem die Flüchtlinge. Denn ein Nicht-Flüchtling kann jederzeit in seine Heimat zurückkehren, wenn er die neuen Lebensbedingungen unangenehm findet.
Der Flüchtling hat oftmals diese neue Gesellschaft nicht freiwillig gewählt. Häufig ist ein billiges Flugticket, die Entscheidung eines Schleppers oder unzutreffende Informationen über die Asylbedingungen ausschlaggebend für die Wahl eines bestimmten Landes. Diese unfreiwillige Auswahl führt zu einem psychologischen Zustand der Hoffnungslosigkeit. Aus diesem Grund sind die Auswirkungen der Emigrationskrise für Iraner, die nach der islamischen Revolution von 1979 ihr Land, vor allem als Flüchtlinge, verlassen haben, stärker als für iranische Nicht-Flüchtlinge.
Diese Krise trifft jeden Betroffenen unterschiedlich, je nach Altersgruppe, sozialer Schicht und dem Verhalten der jeweiligen Gastgesellschaft Ausländern gegenüber. Iraner in den USA und Kanada müssen vermutlich einen geringeren psychologischen Druck ertragen als in Europa lebende Iraner, weil in den USA viele unterschiedliche Nationalitäten akzeptiert werden.
Doch auch die Dauer des Aufenthalts eines Flüchtlings in der Gastgesellschaft spielt eine Rolle in diesem Krisenzustand. Vor allem die Angehörigen der älteren Generation sind oftmals unschlüssig, an welchem Wertesystem sie sich orientieren sollen, und dies weist viele psychologische Probleme auf.
Der Emigrationsablauf lässt sich in vier Phasen unterteilen:
1) Erste Phase: Misstrauen
In dieser Phase hält der Emigrant sein Wertesystem für das richtige. Er kritisiert die Normen und das Wertesystem des Gastlandes, um sein eigenes psychologisches Gleichgewicht zu bewahren. Meist verbringt er seine Zeit unter eigenethnischen Gruppen. Die Folge ist ein Gemeinsamkeitsgefühl innerhalb der Emigrantengruppe und ein dadurch ausgelöstes Zufriedenheitsgefühl. Diese Kritik ist je nach Alter unterschiedlich. Angehörige der älteren Generation üben häufiger Kritik als die jüngere Generation; diese treffen im Westen auf eine demokratische Gesellschaft mit geringerer Kontrolle über das private Leben, die ihnen die Erziehung ihrer Kinder nach der eigenen iranischen Kultur erschwert.
2) Zweite Phase: Zufriedenheitsgefühl
Allmählich hält der Emigrant nicht mehr alle Normen und das ganze Wertesystem der Gastgesellschaft für falsch, und er erkennt einige positive Werte und Normen. Der Emigrant lebt in einer ständigen Neugier in dieser Gesellschaft, ähnlich wie ein nur zeitweilig im Lande weilender Tourist, der versucht, alles zu analysieren und zu bewerten im Vergleich zu seinen eigenen kulturellen Besonderheiten. In dieser Phase hält er bestimmte Werte des eigenen Wertesystems für fragwürdig und bemüht sich, einige Werte des neuen Wertesystems zu übernehmen.
3) Dritte Phase: Reaktion und Depression
Diese Phase tritt nach einer längeren Zeit des Aufenthalts auf und ist lang und schwierig, die schlimmste und schwierigste Phase der Migration. Anstelle der touristischen Neugier versucht der Migrant nun, seinen eigenen Status und die eigene Identität in der neuen Gesellschaft zu finden. Jetzt wird er mit Problemen konfrontiert, deren Lösung sehr schwierig ist. Eine neue Identität zu finden bedeutet, noch einmal neu anzufangen, neue kulturelle Normen zu internalisieren und sich an dem neuen Wertesystem und der sozialen Ordnung zu orientieren. Die vorherige Identität und die eigenen Erfahrungen haben keine Geltung mehr. Je älter ein Emigrant in dieser Phase ist, desto stärker sind die Auswirkungen.
Die Hauptschwierigkeit beim Eintritt in diese Gesellschaft ist die Erlangung einer ausreichenden Sprachkenntnis, um die eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können. Die Erlangung einer solchen Sprachkenntnis ist langwierig und mühsam.
Ein anderes Problem ist die Einsamkeit, unter der selbst die Mitglieder der Industrie-Gesellschaft leiden. Jetzt bemerkt man die eigenen, tiefgreifenden kulturellen Besonderheiten bezüglich Essen, sozialem Umgang mit anderen, Arbeitsverhältnis, Freundschaften, persönlichen Partnerschaften, Festen und Unterhaltungen, Politik, Nutzung öffentlicher Einrichtungen, Pflichten und Rechte. Der Migrant empfindet sich als unfähig, alles dies erfolgreich zu bewältigen, und ist deswegen verwirrt. Manchmal versucht er, zu seinem eigenen kulturellen Wertesystem zurückzukommen, und oftmals führt dies zu Depressionen.
In den Ländern, in denen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus stark sind, sind das Demütigungsgefühl und die Einsamkeit stärker, und der Migrant fühlt sich als "Mensch zweiter Klasse", eine Erscheinung, die verstärkt zu Depressionen und weiteren psychologischen Problemen führen kann. Dies hat spezifische Auswirkungen auf die Migrantenfamilie, so steigen z.B. die Konflikte, und die Scheidungshäufigkeit unter den Migranten-Familien nimmt zu.
Obwohl die Wahrnehmungen der Frauen oftmals weniger negativ als die der Männer sind (vgl. Frage 1), konnte durch Gespräche festgestellt werden, dass iranische Frauen meist stärker unter Heimweh leiden als Männer, vor allem Flüchtlingsfrauen, die keine Möglichkeit zur Rückkehr haben. Zwischen Erwachsenen und Kindern wirkt diese Erscheinung unterschiedlich. Die Kinder internalisieren das neue Wertesystem und entfernen sich mit ihrem Aufwachsen allmählich von den eigenen Eltern und der Familie. In dieser Phase hat der Migrant die Hoffnung, er könne einen besseren Zustand erreichen, um sich vom übermäßigen Druck zu befreien. Wenn das nicht gelingt, tritt Hoffnungslosigkeit und Enttäuschung als ein psychologisches Problem auf; Selbstmorde unter Migranten werden meist in dieser Phase verübt. Die meisten der geschiedenen Iraner, mit denen gesprochen wurde, sind in dieser Phase geschieden worden.
Die beschriebenen Phasen können nicht wie durch eine Mauer
scharf gegeneinander abgegrenzt werden, zudem sind die Phasen für jede individuelle Person verschieden. Im Allgemeinen aber beginnt die dritte Phase nach dem ersten Jahr der Migration und dauert mitunter viele Jahre. Häufig kommt es unter iranischen Migranten in den ersten Jahren der Migration zur Scheidung. Das kann ein Zeichen für die starken Auswirkungen der dritten Phase auf die Familie sowie die höhere Scheidungshäufigkeit sein.
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